Menschenkenntnis oder Vorurteile?

Warum keine Vorurteile zu besitzen nicht bedeutet, dass es dir an Einschätzungsvermögen mangelt und umgekehrt –

In der Vergangenheit durfte ich mir ab und zu mal anhören, dass ich kein Urteilsvermögen hinsichtlich Menschen besitze. Warum? Weil ich mit absolut Jedem ins Gespräch komme und dabei nicht danach unterscheide, ob jemand einen vertrauenswürdigen Eindruck macht oder nicht.

Urteilsvermögen, Menschenkenntnis oder Vorurteile

Die Frage ist doch: Bedeutet diese Verhaltensweise einen Mangel an Menschenkenntnis oder gar Urteilsvermögen? Was bedeuten diese Begrifflichkeiten eigentlich und wie wichtig sind sie in unserem sozialen Miteinander?

Urteilsvermögen, Urteilsfähigkeit oder Urteilskraft ist das Vermögen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. „Vermögen“ heißt dabei die Möglichkeit als Fähigkeit und Können. „Urteil“ bezeichnet die korrekte Einordnung einer Situation oder eines Sachverhaltes und ist eine Voraussetzung auf Rationalität gegründeten Handelns. Ein vermindertes, eingeschränktes Urteilsvermögen ist insofern eine Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten.

Wenn ich also nicht dazu in der Lage bin, einen Sachverhalt zu analysieren und daraus meine Schlüsse zu ziehen, mangelt es mir an Urteilsvermögen. Ist dies der Fall, wenn ich mich dazu entscheide, mit einer Person zu sprechen, die ggf. von Anderen ignoriert wird? Ich denke nicht.

Menschenkenntnis

Menschenkenntnis ist die Fähigkeit, das Verhalten oder den Charakter von Menschen aufgrund eines ersten Eindrucks richtig einzuschätzen, zu erkennen und zu beurteilen, und vorherzusagen wie sie denken und wie sie handeln werden. Entscheidende Faktoren für diese Fähigkeit sind Lebenserfahrung, Intuition und Intelligenz. Menschenkenntnis ist nicht angeboren, sondern man erwirbt sie durch den häufigen Umgang und die Erfahrung mit vielen unterschiedlichen Menschen.

In diesem Kontext betrachtet ist Menschenkenntnis eine bestimmte Form von Urteilsvermögen, allerdings bezogen auf Personen und erweitert um einige Faktoren wie z.B. „persönliche Erfahrungen“ und „soziale Intelligenz“.

Bei aller Menschenkenntnis darf man allerdings eins nicht vergessen: Menschen sind Individuen und auch wenn wir weniger einzigartig sind, als wir selbst denken, spielen bei unseren Verhaltensweisen oft eine ganze Reihe von Faktoren wie z.B. die aktuelle Tagesform, eigene Erfahrungen oder gar hormonelle Einflüsse eine große Rolle. Einen ausgeprägten Erfahrungsschatz und gute Menschenkenntnis zu besitzen bedeutet also nicht zwangsläufig IMMER richtig zu liegen…


Urteilsvermögen ist für unseren Alltag so wichtig wie die Luft zum Atmen. Wir brauchen es, um uns selbst nicht in Gefahr zu bringen, Geschäfte abzuschließen und und und… Menschenkenntnis ist ein „nice to have“ und hilft uns dabei, uns mit den „richtigen“ Personen zu umgeben, mehr aber auch nicht.

Genau an dieser Stelle kommt die dritte Begrifflichkeit – das Vorurteil – ins Spiel. Vorurteil heißt ein Urteil, das einer Person, einer Gruppe, einem Sachverhalt oder einer Situation VOR einer gründlichen und umfassenden Untersuchung, Abklärung und Abwägung zuteilwird, ohne dass die zum Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Fakten verwendet werden. Es gibt negative und positive Vorurteile. Meist ist ‘Vorurteil’ negativ gemeint und wird auch so verstanden, wenn nicht ausdrücklich „positiv“ als Eigenschaft vorangestellt wird. Vorurteile gibt es in allen Gesellschaften und allen gesellschaftlichen Gruppen, Klassen und Schichten mehr oder weniger ausgeprägt.

Auch Vorurteile können uns schützen, vor negativen Erfahrungen bewahren etc., müssen sie aber nicht.Umgekehrt bedeuten Vorurteile aber auch nicht, dass wir Menschenkenntnis besitzen oder gar ein besseres Urteilsvermögen als andere.

Meine persönliche Meinung zum Thema: Wer Vorurteile hat und sich von diesen leiten lässt, verpasst etwas, nämlich die Möglichkeit eigene Erfahrungen zu machen, ob positiv oder negativ. Bezogen auf die anfängliche Frage nach dem eigenen Urteilsvermögen dürfte ich hoffentlich eins deutlich gemacht haben: Sich nicht an Äußerlichkeiten aufzuhalten, bedeutet nicht einen Mangel an Urteilsvermögen (ein oft falsch verwendeter Begriff). Auch die Menschenkenntnis ist davon nicht zwangsläufig betroffen (auch dieser Begriff wird oft falsch verwendet). Wenn ich mit Personen interagiere, die von anderen vielleicht gemieden werden, verzichte ich bewusst auf Vorurteile und öffne mich für EIGENE Eindrücke und Erfahrungen.   

Was meint ihr?

Ich bin einzigartig und du?

“Nein, ich bin nicht so wie alle Anderen” -”Ich bin etwas Besonderes” – Sprüche, die wir alle schon mal gehört und die meisten von uns auch schon mal gesagt haben. Jeder von uns möchte etwas Besonderes sein, etwas anders machen als Andere. Aber warum ist das so? Woher kommt dieses Streben nach Unterscheidung von der Masse? 

Gesellschaftlicher Druck

Wenn wir nicht besser, schneller oder kreativer sind, als alle Anderen, gehen wir unter. Oder zumindest ist es das, was wir denken. In einer Welt, in der so ziemlich jeder einen Studienabschluss, Fremdsprachenkenntnisse und Erfahrungen in verschiedenen Branchen mitbringt, müssen wir versuchen, uns zu behaupten. Das Konkurrenzdenken unserer Gesellschaft ist förmlich greifbar. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Wer hat die coolsten Hobbies? Wer macht am meisten Sport? Wer kennt die aktuellsten Bands und wer hat die spannendsten Bettgeschichten zu erzählen? Der Mensch liebt es, sich mit Anderen zu messen, nicht umsonst gibt es so viele Wettbewerbe. 

Abheben vom Einheitsbrei

Wenn wir nun nicht darauf aus sind, der beste Sportler unseres Jahrgangs oder der erfolgreichste Geschäftsmann unseres Freundeskreises zu sein, dann wollen wir zumindest nicht im Einheitsbrei unserer Gesellschaft untergehen, oder? Natürlich nicht. Was wir dabei allerdings manchmal vergessen: Es gibt über 7,6 Milliarden Menschen auf dieser Welt. Wie hoch ist die Wahrscheinichkeit, dass niemand dieselben Dinge tut, denkt oder leiden kann wie wir? Hinzu kommt, dass wir doch angeblich sechs bis sieben Doppelgänger haben. 

Der Mensch ist also weitaus weniger einzigartig, als er denkt. 

Na und?

Konzentrieren wir uns also weniger darauf, was uns ggf. von Anderen unterscheidet, besser oder schlechter macht. Wir müssen uns nicht mit den Menschen in unserem Umfeld vergleichen. Im Gegenteil! Das Streben nach Besondereit entspringt einzig und allein unserem Ego und führt uns zu nichts. Wenn wir stattdessen unsere Energie darauf kozentrieren, glücklich zu sein und das zu tun, was wir wirklich möchten, kommen wir wesentlich weiter..